4 Männer, vorgeblich Atlanten, räkeln sich teils verschämt, teils unbeholfen verführerisch auf einer barocken Hausfassade in der Wiener Innenstadt. Ein Leintuch um Kopf und Scham drapiert, einladend, als wollten sie uns zuflüstern „Schaut her, wie schön muskulös mein Körper ist!“ Sie halten sich nicht damit auf, irgendwelche Himmelsgewölbe, Balkone oder Türportale in die Höhe zu stemmen. Nein, das überlassen sie jenen Fassadenfiguren, die unbedingt stark und testosterongeladen erscheinen wollen. Männliche Kraft im traditionellen Sinne hingegen demonstrieren zwei gekreuzte Keulen auf der Hausfassade. Herkules & Friends? Nein. Der trat seine Heldentaten im Alleingang an und nicht mit Freunden. Außerdem hätte er sich wohl eher in ein für seine heldischen Taten praktischeres Fell gehüllt anstatt lasziv in einer neckisch verutschten Tunika zu posieren.
Burgundisches Kreuz
Eine mögliche Lösung des Rätsels liegt in dem Namen des Hauses, „Zum Burgundischen Kreuz“. Der „Orden des Burgundischen Kreuzes“ wurde 1535 von Kaiser Karl V. anlässlich seiner Eroberung der von Osmanen besetzten Stadt Tunis gestiftet. Wappen des Ordens war eine Art Andreaskreuz, bei dem einander zwei diagonale Balken kreuzen. Diese Balken sind im Falle des Burgundischen Kreuzes zwei mehr oder weniger stilisiert dargestellte und lediglich oh zugeschnittene Äste. Oder vielleicht sogar Keulen? Der von Karl V. gestiftete Orden bestand jedenfalls nur kurze Zeit. Offensichtlich aber lange genug, um für den Erbauer dieses Wiener Hauses von Bedeutung zu sein. Der erste Bau ist vor 1571 entstanden, wurde dann gegen 1720 aufgestockt und erhielt bei dieser Gelegenheit eine hochbarocke Fassade. Hier dürften die 4 Tunika-Models die Fassadenbühne betreten haben, zu denen das vergoldete Hauszeichenrelief mit den martialisch gekreuzten Keulen wenn überhaupt passt wie die Faust aufs Auge.
Spuren des Tunis-Feldzugs
An einem anderen Ort in Wien gibt es weitaus klarer deutbare Spuren des Tunis-Feldzugs zu sehen. Karl V., der den Feldzug 1535 höchstpersönlich anführte, wollte die Ereignisse dieses Kriegs gegen die Osmanen in allen Details der Nachwelt überliefern. Daher nahm er sich als Begleiter und Berichterstatter nicht nur renommierte Historiker und Dichter mit, sondern auch seinen Hofmaler Jan Cornelisz Vermeyen. Vermeyen fertigte Vorlagen für insgesamt zwölf monumentale Tapisserien mit Darstellungen des Tunis-Feldzuges an. Diese prachtvollen, detailreichen und über ihre Zeit äußerst aufschlussreichen Kartons sind im Besitz des Kunsthistorischen Museums, wo sie hoffentlich ab 30. Mai wieder im obersten KHM-Geschoß zu besichtigen sein werden. Ein Besuch lohnt sich! Nicht nur, aber auch wegen dieser künstlerisch wertvollen, viel zu selten wahrgenommenen und sehr beeindruckenden Dokumentation eines transkontinentalen Kriegszuges vor fast 500 Jahren.